Über 600 Jahre Fastnachtstradition in Bühlertann
Im Rheinland feiert man Karneval, in Bayern/Österreich Fasching und im Alemannischen die Fasnet oder Fastnacht.
Alle Begriffe bezeichnen die sogenannte „Schwellenveranstaltung“ vor Beginn der 40tägigen Fastenzeit.
So kann aus dem Begriff der Fastnacht mühelos die Nacht vor dem Fasten herausgelesen werden.
Bis in das 20. Jahrhundert hinein zerfiel Deutschland in einen närrischen, katholischen und abstinenten protestantischen Teil.
Die Reformatoren hatten weder für das Fasten, noch für dessen rauschhaftes Vorspiel Verständnis und so wurde der Brauch in ihrem Einflussbereich meist verboten.
Inzwischen spielen Konfessionsgrenzen kaum noch eine Rolle.
Auch unsere Gemeinde hat eine uralte Fastnachtstradition.
Dies belegt die Tatsache, dass um 1355 sogenannte „Fastnachtshühner“ als Zahlungsmittel dienten.
So war die Badstube verpachtet für ein Pfund Heller und ein Fastnachtshuhn.
1395 erfolgte die Pachtung der Tannenburg durch Leopolt von Seldeneck. Um die Wächter und Torwarte verpflegen zu können, erhielt er 50 Fastnachtshühner, 50 Herbsthühner und genügend Brennholz.
In der Regel mußten für Hofstätten ein bis acht Schilling zuzüglich ein Fastnachtshuhn pro Jahr als „Lehen“ (Ausdruck für Pachtzins) bezahlt werden. All dies ist aus der Geschichte nachlesbar und somit einwandfrei belegt, dass vor 650 Jahren die Fastnacht im Bühlertal einen wichtigen Zeitbegriff darstellte und wohl auch kräftig gefeiert wurde.
Laut Jagstzeitung vom 19.02.1920 veranstaltete der Liederkranz Bühlertann am Fastnachtssonntag, sowie am Dienstag eine komische Aufführung mit Gesang und Theater.
Dies durfte wohl der Ursprung der heutigen Prunksitzungen gewesen sein.
Leider stehen uns Unterlagen über die Veranstaltung von Umzügen und Fastnachtsbällen erst wieder ab der Zeit nach dem Kriege zur Verfügung. Trotzdem hat sich durch die Wirren des ersten und zweiten Weltkrieges die Fastnachtstradition bis zum heutigen Tag bewahrt.
Interessant ist noch ein Auszug aus dem Protokoll des Schultheißenamtes Bühlertann vom 19.01.1928, aus der zu entnehmen ist, dass durch die Verfügung des Ministeriums des Innern vom 13.01.1921 im Hinblick auf den Ernst und die Schwere der Zeit zu heuer Fastnachtsveranstaltungen jeder Art, insbesondere Aufzüge in Maskenbälle, sogenannte karnevalistische Konzerte, das Tragen von Masken und Verkleidungen auf den Straßen und in den Wirtschaften mit sofortiger Wirkung untersagt wird.
Den Wirten wurde verboten, Fastnachtsunterhaltungen mit Musik, Gesang oder Tanz in ihren Räumlichkeiten zu dulden. Übertretungen des Verbots werden bestraft, laut dieser Verfügung, unterzeichnet vom damaligen Schultheißen Wurstner.
Gesichert ist jedoch, dass für die Zeit nach dem ersten Weltkrieg und dem Wiederaufbau sich unser heutige Ehrenbürger, August Fuchs, besonders verdient gemacht hat.
Er war Hauptorganisator und Hauptkoordinator bei der Wiederaktivierung der Original Bühlertanner Fastnacht.
Umzüge wurden zusammen mit Bürgermeister Emil Burger (verstorben) organisiert. Die Vereine organisierten Fastnachtsveranstaltungen jeglicher Art, und Organisator für die Fastnachtsumzüge war viele Jahre der zwischenzeitlich verstorbene Malermeister Josef Eustachius Klein.
Die erste offizielle Prunksitzung fand 1973 unter Mitwirkung des Fastnachtskomitees Ellwangen, bzw. des damaligen Präsidenten Max Steinacher statt.
Die Hauptprogrammpunkte zu diesen Sitzungen wurden damals von unseren Freunden aus Ellwangen beigesteuert.
Die Presse schrieb von einem Prachtfeuerwerk der guten Laune. Zwischenzeitlich sind aus einer Prunksitzung drei Prunksitzungen geworden, die in der Regel schon Wochen zuvor restlos ausverkauft sind.
Bühlertann hat sich zu einer Narrenhochburg mit vielen sogenannten „närrischen Events“ entwickelt.
Die Besucherinnen und Besucher erwartet bei den Prunksitzungen in der Regel immer ein 4 ½ stündiges non-stop-Programm mit ca. 26 Höhepunkten, über 100 Akteuren, Mädchengarden, Büttenrednern, Gesangs- und Showgruppen, sowie dem Musikverein Bühlertann, als Sitzungskapelle.
Geboten wird eine handgestrickte Fastnacht mit teilweise schon profihaftem Flair. Alle Besucher erwartet eine Supershow der guten Laune: Bunte Garden wirbeln über die Bühne, spitze Worte der Büttenredner, faszinierende Musik- und Gesangsnummern reißen die Gäste zu Beifallstürmen hin.
An allen Prunksitzungen sind auch seit Jahren schon immer interessante und prominente Gäste aus Politik, Kultur, Wirtschaft und Sport vertreten.
Ein weiteres närrisches High-Light ist dann der große traditionelle Fastnachtsumzug am Fastnachtssonntag.
Dieser Tag beginnt mit einer „Messe für Narren“ in der katholischen Pfarrkirche. Anschließend ist um 10.11 Uhr Amtsenthebung des Bürgermeisters und um 14.00 Uhr der große traditionelle Fastnachtsumzug.
Anschließend findet dann immer eine Familienprunksitzung in der Bühlertalhalle statt. Daneben gibt es auch noch während der Fastnachtszeit eine Fülle von weiteren Vereins-Fastnachtsveranstaltungen.
Zur Fastnachtsorganisation:
Am 21.07.1974 bildete sich in einer von Bürgermeister Burger geleiteten Sitzung erstmals ein Komitee als loser Zusammenschluss der Vereinsvertreter zur Koordination der örtlichen Faschingsveranstaltungen. Am 23.04.1977 haben dann diese Bühlertanner Vereine eine Vereinbarung über die Organisation und Pflege des örtlichen Brauchtums abgeschlossen. Federführend waren damals folgende Vereine und Personen:
Musikverein Fronrot e. V. (Franz Kurz) |
Fischereiverein Bühlertann e. V. (August Fuchs) |
Modellbauclub Bühlertal e. V. (Karl Ulreich) |
Gesangverein Fronrot e. V. (Josef Burkhardt) |
TTC Kottspiel 1956 e. V. (Karl Schiele) |
Landfrauenverein Bühlertann e. V. (Annemarie Fuchs) |
Sportclub Bühlertann e. V. (Fritz Ludwig) |
Sportkegelclub Bühlertann (Josef Schneider) |
Liederkranz Bühlertann e. V. (Konrad Schmid) |
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Diese Vereinbarung wurde in der Mitgliederversammlung vom 07.12.1978 in eine offizielle Satzung des Fastnachtskomitees Bühlertann e. V. umgewandelt.
Seitdem ist das FKB ein offiziell eingetragener Verein, der die Pflege des kulturellen und historischen Brauchtums, insbesondere des heimischen Fastnachtsbrauchtumes, zum Ziele hat.
Der Vereinszweck soll insbesondere durch eine Pflege der Kameradschaft, Achtung und Würde des einzelnen Mitglieds und der Pflege der bodenstämmigen, heimischen Fastnacht und deren Verbreitung gewährleistet werden.
Der Verein ist politisch und konfessionell neutral und verfolgt ausschließlich gemeinnützige Zwecke.
Vereinsmitglieder sind fast alle örtlichen Vereine, die Gemeinde und verdiente Ehrenmitglieder.
Bis 1988 war Ehrenbürger August Fuchs Hauptorganisator, bzw. Präsident und heute Ehrenpräsident des Fastnachtskomitees Bühlertann.
Dessen Nachfolger seit 1987 ist Fastnachtspräsident Felix Pfitzer, der zuvor seit 1983 das Amt des Vizepräsidenten inne hatte.
Eine weitere Säule des Fastnachtskomitees, Vorstandsmitglied, sowie Kassierer war seit 1977 Fritz Ludwig.
Seit 2003 können in der großen Halle des Kultur- und Sportzentrums Bühlertalhalle die Großen Prunksitzungen, die Kinderfastnacht (eine Woche vor dem Fastnachtswochende) sowie die Familienprunksitzung nun stattfinden und damit wesentlich mehr Gäste aufgenommen werden.
Eine aufwendige, in handarbeitlicher Eigenregie gefertigte Dekoration liefert das äußere Ambiente, bzw. ergänzt die tollen Darbietungen, die unsere Gäste in eine begeisterte Fastnachtsstimmung versetzen.
Oberster Grundsatz für unsere handgestrickte Fastnacht war immer schon Tradition, gepaart mit Freude und Spass.
Zudem weckte die Fastnacht über Jahrhunderte hinweg die Kameradschaft und stärkte das Gemeinschaftsgefühl.
Keine Lust am Spektakel, kein Saufgelage unter dem Schutz der Maske, keine Beleidigung unter dem Vorwand der Satire – alles muß im vernünftigen und „sauberen“ Rahmen bleiben.
Dazu passt auch nachstehendes Gedicht unserer Heimatdichterin Marie Stegmaier, die für jeden Anlass immer heitere Verse parat hatte und die insbesondere auch in der Fastnachtszeit von allen angesprochen und gebeten wurde, unterhaltsame Verse zu dichten:
Willkomma heut`, ob alt ob jong,
Willkomma, Weiber – Männer,
ond feiret Fasnacht voller Schwong,
en dem Fach send mir Kenner.
Die Fastnachtszeit en Bühlertann
des isch a g´wachsene Sache,
die kommt direkt von enna raus,
isch Tradition, koi Mache.
Drom g`hört scho fast zom Kirchajohr
die Sitzung in der Halle,
heit hoißt Parole: Spaß – Humor,
mach mit ond send koi Dralle!
I fühl` mi zwoi net pudelwohl,
net frei ond auch net ledig.
In dem verflixta Narrafaß
isch des mei ersta Predigt.
Doch ruf i auf, ob groß ob kloi,
ob nudeldick, ob mager,
ob päärlesweis, ob ganz alloi,
heit isch d`r Spaß d`r Schlager.
Ond machet au a freindlich`s G`sicht,
no isch scho manches g`wonna,
vergesset euer Überg`wicht,
no scheint viel heller d` Sonna.
Humor ond Witz, Tanz ond Musik
soll euch dia Zeit vertreiba,
wem`s g`fällt, der ka e jedem Fall
bis morga hocka bleiba.
Bei ons isch no a heile Welt,
mir schaffat, zahlet Steura,
ond unsre hohe Obrigkeit
tuat gera mit ons feira.
Herr Bürgermeister – Pfarrer Belz,
dia hent scho manchen g`schockt,
dia Johr bei Festzug send dia zwoi,
auf`ma Elefanta g`hockt!
Wenn Kirch` ond`s Rothaus z`ammastemmt,
des isch für d` Leut am besta,
m`r nemmt mitnander`s Gschäft end Händ
ond duat mitnander feschta.
Drom hebt das Glas auf d` Fasenacht,
auf älle Fasnachtsbutza,
en Tusch, ond ja koi G`sicht na g`macht,
des ka i net verbutza!
Dann au auf osern Präsident,
d`r „weltbekannte“ Gustl,
denn onder dem seim Regiment
gibt`s selta a Gewurschtel!
Doch jetzt geht`s los, ihr liabe Leut`,
`s wird net lang g`fackelt, g`munkelt,
denn Trompf isch die Gemütlichkeit,
`s wird no so batscht ond g`schonkelt.
Narri – Narro!